Ich habe den Farbfilm vergessen. Und das aus gutem Grund. Erstens arbeitet meine Kamera nicht mehr analog und braucht gar keinen Film. Zweitens sind wir auf Hiddensee und da gehört es zum guten Ton, nicht in Farbe zu fotografieren.
Hiddensee? Ja, Hiddensee. Dort, wo der Sanddorn rot am Strand blüht. Unter der Farbe Rot kann sich jeder etwas vorstellen. Wozu braucht man da einen Farbfilm?
Hiddensee ist eine Insel. So ähnlich wie Großbritannien, nur nicht so groß. Und wie bei einer Reise nach Großbritannien gibt es ein Problem bei der Anreise: Man muss irgendwie auf die Insel kommen. Großbritannien hat inzwischen einen Tunnel. Rügen hat die Strelasundbrücke. Um nach Hiddensee zu kommen, hilft nur eins. Man stelle sich ans Ufer der Ostsee und rufe: „Fährmann, hol über! “ Oder man kauft sich in Stralsund ein Ticket für die Fähre. Denn nur mit einer Fähre kommt man auf die Insel. Oder mit einem Schlauchboot. Wird aber eng mit dem Gepäck.
Wir nahmen nicht das Schlauchboot. Wir nahmen die Fähre. Kleiner Tipp in dieser Angelegenheit: In Schapprode auf Rügen ist das Parken preiswerter. Dafür ist auch die Überfahrt kürzer. Wer also auf eine längere Seereise steht, ist in Stralsund besser aufgehoben, sollte aber rechtzeitig vor Abfahrt der Fähre in der Stadt sein. Dann kann man nämlich in etwas Entfernung vom Hafen am Straßenrand parken, wo der Parkraum noch nicht bewirtschaftet ist.
Es vergingen ungefähr drei Stunden, bis wir unser Ziel, den Hafen von Kloster auf Hiddensee erreichten. Wie gesagt, die Überfahrt von Stralsund dauert etwas. Bei schönem Wetter ist sie es aber wert. Auf dem Weg nach Kloster werden auch die anderen beiden Häfen auf Hiddensee angelaufen, Kloster liegt nämlich ganz im Norden.
Es sind kleine Häfen auf Hiddensee, aber Hiddensee ist auch eine kleine Insel.
Hiddensee ist sogar klein genug, dass man vom richtigen Platz aus einmal von Norden nach Süden blicken kann. Inselblick heißt jener Platz passenderweise. Und zum Inselblick zog es uns, nachdem wir unsere Sachen aufs Zimmer gebracht und fünf Minuten Pause gemacht hatten. So eine Seefahrt ist nicht nur lustig, sie ist auch anstrengend. Ständig sieht man irgendetwas, sei es ein rahgetakelter Zweimaster oder die Küste Rügens. Die Insel Rügen ist nämlich nicht mehr als einen Steinwurf von Hiddensee entfernt. Metaphorisch gesprochen. Der Bodden zwischen den Inseln ist zu tief. Sonst könnte man in Gummistiefeln von einer Insel zur anderen waten. Aber irgendwo muss ja auch die Fähre fahren. Und die anderen Schiffe und Boote und nicht jedes Wasserfahrzeug hat einen Tiefgang von nur einem Meter.
Der Inselblick… Name des Ortes und der Ausblick von dort sprechen für sich.
Nicht weit davon ist das Leuchtfeuer Dornbusch, ein alter Leuchtturm, der dank seiner leistungsstarken Beleuchtung und seiner exponierten Lagen ca. 72m über dem Meer noch heute ungefähr 46km weit aufs Meer zu strahlen. Und wenn man nicht gerade auf dem Meer ist sondern am Turm selbst, kann man selbst weit blicken. Ich glaube gar, das Wort Weitblick wurde hier oben erfunden.
Allgegenwärtig auf Hiddensee ist der Sanddorn. Der eine oder andere erinnert sich vielleicht noch an die berühmte Liedzeile, nach der der Sanddorn rot am Strand von Hiddensee blüht, der Beginn jenes Klageliedes der Frau Hagen, in dem sie sich über das Fehlen des Farbfilms beschwerte.
Es gibt den Sanddorn hier in den verschiedensten Formen. Es gibt ihn als Bonbons, in Schokolade und Honig, als Tee oder Likör… Und natürlich auch am Strauch. Die Sanddornsträucher sind aber, das will ich nicht verhehlen, nicht ohne eigene Problematik, denn Dank ihrer Robustheit verdrängen die Sanddornsträucher eine Vielzahl anderer Mitglieder der hiesigen Vegetation.
Und wer darüber nachdenkt, sich einen Sanddorn für den heimischen Garten mitzunehmen, beachte, dass Sanddorn getrenntgeschlechtlich ist. Er nehme also mindestens zwei Sträucher in sein Gepäck.
Ich kann das Leid der Frau Hagen nachempfinden, denn die Farben hier sind einmalig. Nicht die Farben selbst, aber ihre Kombination aus grün, blau, gelb, rot, weiß und grau und verschiedensten Zwischentönen.
Zeit hingegen scheint hier entweder keine oder eine im Vergleich zur Großstadt grundverschiedene Bedeutung zu haben. Vielleicht liegt es nur am Urlaub, aber ob es um zwei, halb fünf oder dreiviertel acht ist, spielt keine Rolle. Ich weiß nicht einmal, wie spät es gerade ist…
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