Dass Schottland ein Land voller Historie und Abenteuer ist, ist keine Neuigkeit. Die Römer scheiterten glorreich an die Skoten und Pikten, Bauten einen Wall und verließen ihn nach reichlich hundert Jahren wieder, um sich hinter den Hadrianswall zurückzuziehen. Die Iren setzen die Segel und siedelten in Schottland, das von ihnen damals Alba genannt wurde. Die Wikinger fielen von Nordosten ein. Die Engländer versuchten, Schottland von Süden her zu erobern und zu beherrschen und scheiterten schließlich am Aufstand William Wallace‘ und nach dessen Tod in der Schlacht von Bannockburn an den schottischen Truppen und Robert the Bruce.
Später dann wurde die Königin der Schotten, Maria I. Stuart, von ihrer Cousine Elisabeth I. von England gefangen genommen und letztlich hingerichtet. Maria Sohn übernahm dann aber doch den englischen Thron. Marias (Ur?-)Enkel, Charles Stuart, genannt Bonnie Prince Charlie, probte seinerseits den Aufstand, damit Schottland unter seiner Herrschaft den Schotten gehöre und um den ihm zustehenden Thron sowohl Schottlands als auch Englands vom Haus Hannover, das mit Georg I. an die Spitze Großbritanniens gelangt war, dem Hause Stuart zurückzuerobern. Am 16. April 1746 fand dies ein jähes Ende, als Charlies aufständische Jakobiter auf dem Culloden Moor den Regierungstruppen zahlenmäßig weit unterlegen gegenüber standen und schließlich vernichtend geschlagen wurden. Die Highland-Clans kämpften tapfer und viele dieser mutigen Krieger starben auf dem Schlachtfeld oder wurden nach dem Kampf noch an Ort und Stelle hingerichtet. Der Prinz musste fliehen und starb schließlich im römischen Exil, ohne seine Heimat je wiedergesehen zu haben.
Das war: Geschichte in fünf Minuten
Historie war es, die heute auf dem Plan stand, denn in Schottland kann man Geschichte sehen. So begaben wir uns auf eine Zeitreise. Wie durch einen Zufall liegen nämlich zwei Orte, die Geschichte(n) erzählen lediglich 1 ½ Meilen voneinander und keine Stunde Busfahrt mit der Linie 8C (Richtung Croy) von Inverness entfernt: das Culloden Battlefield und die Clava Cairns.
Bereist man Großbritannien, ist es eigentlich schon fast ein Pflichtprogramm, sich Steinkreise anzusehen. Es gibt verschiedene Formen megalithischer Bauten. Es gibt Henges (wie das berühmte Stonehenge in England), bei denen die Steine „einfach aufgestellt“ wurden. Ähnlich sind die sogenannten Standing Stones, die man hier und da in den schottischen Highlands findet, und die Menhire in der Bretagne und auf den Kanalinseln. Und dann gibt es Cairns. Solche Cairns waren die erste Station (sieht man von TESCO ab, wo wir uns für den Tag verpflegten).
Der Bus hält direkt am Parkplatz vor dem Besucherzentrum des Culloden Moor. Von dort geht es dann per pedes weiter. Das Gute: Es geht immer bergab. Das Schlechte: Hinterher muss man denselben Weg wieder bergauf gehen. Die Entschädigung dafür ist die wunderschöne Landschaft. Ob es der Fluss Nairn ist, der Viadukt, der ihn überquert oder einfach die Hügel, die die Landschaft einer Leinwand gleich wie ein Gemälde aufnehmen, allein hierfür lohnt sich der Fußweg.
Als wir die Clava Cairns erreichten – wir liefen ungefähr eine halbe Stunde vom Culloden Battlefield immer den Berg hinunter – war die erste Äußerung meines Töchterchens: „Oh! Da ist ein Steinhaufen!“
Steinhaufen! Steinhaufen sagte sie! Da haben sich vor Tausenden von Jahren die Menschen solche Mühe gegeben und meine Tochter sagt Steinhaufen! Aber zugegeben: Vom Eingang zu den Cairns aus gesehen sah es wirklich wie ein Steinhaufen aus. Natürlich ist es etwas mehr als das, wie ich ihr gleich zeigte.
Die Forschung geht heute davon aus, dass solche Cairns Begräbnisstätten, datiert auf die Bronzezeit, waren. Dabei wurden aber nicht einfach wahllos Steine über einen Toten geschüttet. Nein, das Ganze hatte viel mehr Sinn und Verstand. Die „Steinhaufen“ waren nämlich innen hohl. Außen waren sie mit größeren Felsen eingefasst, der eigentliche Cairn bestand aus sauber gestapelten, sich überlappenden Steinen und ringsherum sind noch Monolithen aufgestellt. Nicht wahllos sondern mit System. Die Grabkammer ist nämlich so ausgerichtet, dass an Mittwinter, sprich zur Wintersonnenwende, die untergehende Sonne durch den Eingang scheint. Die Monolithen um die Cairn wie auch die Steine, die die Einfassung bilden, unterscheiden sich dabei in der Größe. Der größte Stein ist am Eingang. Ja, die alten Kelten bauten nicht einfach drauf los und wer weiß, was wir noch alles neu erfinden müssen, um auf gewissen Gebieten ihren Wissensstand zu erreichen?
Die gesamte Anlage wirkte dabei auf mich, als läge sie unter einer unsichtbaren Kuppel. Natürlich wusste ich, dass neben der Anlage eine Straße verläuft, Weideland ist usw. Aber solange wir an diesem heiligen Ort waren, nahm ich nichts davon wahr. Es war, als hätte jemand den Rest der Welt einfach abgeschnitten. Erst als ich bewusst auf den Parkplatz blickte, sah ich ihn wieder.
Zwei Sandwiches und eine weitere halbe Wegstunde später waren wir dann an dem Ort der etwas jüngeren Geschichte, dem Culloden Moor. Oder auch Culloden Muir.
Wenn man im Wörterbuch nach „lebendiger Geschichte“ sucht, sollte dort eigentlich ein Bild vom Culloden Moor sein, denn selten ist Geschichte so greifbar. Das alte Schlachtfeld ist das, was der Name suggeriert: ein Moor.
Auf diesem Moor findet man zwei Reihen von Fahnen. Die roten Fahnen markieren die Linie der Regierungstruppen, die blauen Fahnen die der Jakobiter. Neben den Wegen befinden sich grob behauene Steine, in die die Namen der Clans gemeißelt sind, die auf dem Schlachtfeld gefallen oder dortselbst nach der Schlacht ermordet worden waren. An den Steinen erheben sich die Gräber der Gefallenen.
Vor allem aber bemerkt man in allem, was auch dem Schlachtfeld zu sehen ist, dass dieses Feld, dieses Moor den Schotten etwas Heiliges ist. Und wenn man seinen fünf Sinnen ausreichend Beachtung schenkt, so fühlt man auch selbst diese Heiligkeit. Es fühlt sich wie bei den Clava Cairns alles anders an. Vor zwei Jahren, als ich das erste Mal in Inverness war, fühlte es sich kalt an. Heute war alles nur friedlich. Selbst die anderen Menschen spielten keine wirkliche Rolle. Sie waren praktisch gar nicht mehr da, waren einfach verschwunden. Faszinierend, wie selektiv man doch wahrnehmen kann.
Am Morgen auf dem Weg zu Bus lernten wir noch zwei Dinge über Schottland bzw. Großbritannien.
1. Auch Baustellen im Fluss werden hier ausgeschildert.
2. Selbst Briefe reisen hier erster und zweiter Klasse.
Ein Tipp zum Schluss: Wenn ihr in Inverness mit dem Bus irgendwo hinfahrt, bestellt die Tickets gleich mit für die Rückfahrt! Der Preisunterschied beträgt pro Nase 50 Pence. Wenn das kein Angebot ist!
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